„Highway to Hell“ oder „Das größte Laufabenteuer meines
Lebens“
Ein Bericht von Günter (Günni) Pink vom Transalpine-Run 2008
Tag 8: von Niederdorf im Pustertal
(I) nach Sexten (I) am 06.09.2008
Nun war es also
soweit:
Die letzte Etappe
stand bevor. Viele Teams waren bereits ausgeschieden; auch in den vorderen
Reihen waren einige Ausfälle zu beklagen. Umso größer war die Tatsache
einzustufen, dass Theresia und ich zum „Final Countdown“ antreten durften. Wir
hatten es tatsächlich geschafft! Irgendwie konnte ich das noch gar nicht
fassen. Und als zum letzten Mal unser „Highway to Hell“ erklang, war nicht nur
dieses Gänsehautfeeling da: es wurde begleitet von einer großen Portion Stolz,
feuchten Augen und – wer hätte es gedacht – so etwas wie Wehmut….
Aber diese Etappe
sollte noch sehr, sehr schwer werden:
Vertikaldistanz: 2120 Höhenmeter im Aufstieg, 1969 Höhenmeter im Abstieg
Horizontaldistanz: 33, 88 km
Startzeit: 08.00 Uhr
Zeitlimit: bis zur V3: 7 h ?
Trotzdem hatte ich
mich auf diese Etappe gefreut. Sie sollte die landschaftlich schönste Strecke sein
– packen wir es also an!
Theresia hielt sich
schon am Start ein gutes Stück hinter mir auf; eigentlich schade!
Wenigstens hätten wir
uns hier noch mal gegenseitig und nebeneinander Mut machen sollen…
So verlor ich sie
schon direkt nach den ersten Metern aus den Augen. Ich versuchte zunächst
meinen eigenen Rhythmus zu finden, was mir auch prompt gelang.
Da die ersten 9 km
nur leicht ansteigend waren, konnte man viel laufen. Dadurch vergrößerte sich
der Abstand zu Theresia ziemlich schnell. Damit ich ihr nicht zu weit enteilte,
blieb ich an einem See mit Blick auf die Berge stehen und wartete.
5 min später kam sie
„schnabelnderweise“ an, bemerkte mich nicht einmal
und lief ohne mich zu beachten weiter. Ich nahm es gelassen und trabte
hinterher. Erst kurz vor V1 suchte sie mich und bemerkte jetzt, dass ich hinter
ihr war…
Nach V1 war es aber
mit dem „Small-Talk“ vorbei. Wir hatten jetzt ca.
4:15 h Zeit um zu V2 an der Dreizinnenhütte zu gelangen. Bei Betrachtung des
Streckenprofils hatte ich den Eindruck, dass es knapp werden könnte. Leider
sollte ich Recht behalten!
Das erste „höhere“
Ziel sollte die Lückelescharte auf 2545 m Höhe sein.
Dazu ging es
natürlich zunächst wieder serpentinenartig im Wald steil nach oben. Beim
Zurückschauen merkte man, wie schnell man in diesem steilen Gelände an Höhe
gewann. Auf ca. 2000 m Höhe ging es einige hundert Meter flach weiter. Aber man
sah die Lückelescharte bereits. Der Weg dorthin war
jedoch sehr beschwerlich: in Serpentinen kämpften wir uns auf lockerem Sand und
Gestein nach oben. Jetzt bloß nicht ausrutschen!!! Das Ganze wurde dann durch
den aufkommenden Wind noch erschwert; es war aber unbedingt erforderlich das
Gleichgewicht zu halten. Weiter unten war schon der ein oder andere
„Höhenängstliche“ ausgestiegen, und das am letzten Tag - jammerschade; hier war
absolute Trittsicherheit erforderlich!
Dann endlich war die
Scharte erreicht. Der kalte Wind zwang mich meine Jacke anzuziehen. Aber der
sich nun bietende Panoramablick entschädigte für alles. Eine solch bizarre
Bergwelt hatte ich bisher noch nicht gesehen! Ich war begeistert! Der
Fotoapparat kam nicht mehr zur Ruhe.
Doch wie so oft ging
es auch jetzt wieder viele Höhenmeter nach unten. Nachdem wir 600 m an Höhe
verloren hatten, ging es wieder mühsam nach oben Richtung Gwengalpenjoch
(2466 m). Bereits von ziemlich weit unten konnte ich erkennen, dass es dort
oben nach links weiter gehen würde. Was dann kam, konnte ich noch nicht
einsehen…
So kämpfte ich mich
weiter, gefolgt von Theresia, die aber wieder leicht schwächelte.
Ein Blick auf die Uhr
ließ die ersten Sorgenfalten über meine Stirn huschen.
Auf dem Joch
angekommen erkannte ich einen kleinen Stau an der Stelle, die ich schon von
unten ausmachen konnte. Es war zwar wenig Platz dort oben, aber ich steuerte
drauf los. Jetzt war Klettern angesagt: man musste sich an Seilen steil nach
oben ziehen und diesen Kamin durchklettern. Eine herrliche Passage!!
Danach ging es wieder
flach, aber rechts steil abfallend, weiter. Der Blick in die Tiefe war aber
weitaus weniger interessant als der Blick nach vorne: ich erspähte jetzt die 3
Zinnen, direkt vor mir, unglaublich schön. Das war der verdiente Lohn für ein hartes
Stück Arbeit. Auch die anderen Berge: wunderschön und bizarr!!
Aber ich sah auch die
Dreizinnenhütte und bemerkte dabei, dass zwischen mir und der Hütte ein tiefer
„Graben“ war. Diesen galt es zu umlaufen. Dahin hatte aber jemand ein
komplettes Bergmassiv gestellt, das es jetzt nach links zu umlaufen galt. Da
ich solche „Umwege“ von einigen Bergwanderungen kannte, wusste ich, dass es da
keinen direkten und schon gar keinen kurzen Weg gibt: das kostet Zeit, viel
Zeit!!
Und tatsächlich:
immer wieder ging es weiter, und auch immer wieder ging es bergauf und bergab.
Es ließ sich aber auch teilweise gut laufen; daher tat ich dies auch. Trotzdem:
die Zeit lief uns weg, und ich lief Theresia weg.
Ich spürte den
Zeitdruck: wir hatten nur noch 20 min Zeit, und die Hütte war nicht einmal zu
sehen. Dafür ging es noch mal bergauf!
Aber ich wollte nicht
am letzten Tag wegen ein paar Minuten Zeitüberschreitung aus dem Rennen
genommen werden! Ich kämpfte und gab Gas; ich wäre gern geflogen, aber mein
Rucksack hinderte mich daran…
Wenn ich es noch im
Zeitlimit schaffen sollte und Theresia nicht…, was erzähle ich dem
Kontrollposten??? Sie hätte aufgegeben, sei abgestürzt, sonst irgendeinen
Unfug???? – Hauptsache, ich darf alleine weiter… Ich war durcheinander!
Dann erblickte ich
endlich die Dreizinnenhütte, ein Blick auf die Uhr: noch 7 min Zeit.
Das würde für
Theresia wohl kaum reichen.
Ich ging zum
Kontrollposten, der wollte sogleich meine Startnummer scannen. Aber ich war
alleine, noch ohne meine Partnerin! Daher meine bange Frage: „wie lange haben
wir noch Zeit?“ Die Antwort: “Ihr habt noch genug Zeit.“
Aha! Also scheint man
es am letzten Tag nicht so ganz genau zu nehmen.
Theresia kommt dann
tatsächlich 1 ½ min „zu spät“. Sie hat es nicht einmal gewusst; sie hat sich um
solche Sachen nicht gekümmert, und ich habe ihr nichts davon gesagt; sie hätte
ansonsten wohl Panik bekommen…
So aber dürfen wir
den Posten passieren, verpflegen uns; noch eine Verpflegungs- und
Kontrollstelle erwartet uns.
Theresia läuft schon
voraus, ich 2 min später hinterher. Dadurch erlebe ich noch einen Sturz einer
Laufkollegin eines anderen Teams. Sie bleibt regungslos liegen; sie wagt nicht
sich zu bewegen. Während andere Läufer und Läuferinnen weiter laufen – etwas,
was ich wirklich nicht verstehe – bleibe ich stehen und kümmere mich mit ihrem
Laufpartner um sie. Es gelingt uns sie aufzurichten. Nach den ersten
Bewegungsversuchen scheint sie noch mal Glück gehabt zu haben – ihr Rucksack
hat wohl einiges Unheil abgehalten! Nachdem ich mir sicher bin, dass ihr nichts
Ernsthaftes zugestoßen ist, laufe ich weiter. Theresia erzähle ich davon erst
am nächsten Tag auf dem Heimweg…
So erreichen wir dann
auch V3 – wieder 30 min in der Sollzeit – und freuen uns auf den Zieleinlauf.
Eigentlich hatte ich gedacht,
dass uns ein Tal der (Freuden-) Tränen in Sexten erwartet.
Aber dem ist nicht
so: der Stadionsprecher begrüßt uns herzlich und gratuliert, die Medaille fällt
um unseren Hals, aber Theresia und ich tun das erst später.
Wir können das Ganze
– ebenso wenig wie die anderen Finisher – nicht
sofort realisieren. Dafür war das Ganze zu gigantisch, zu einmalig, zu
strapazenreich!
Wie hypnotisiert
lasse ich alle stehen und begebe mich zum Bierstand. Dort schnappe ich mir ein
Weizen und proste mit den umher Stehenden auf das bestandene Abenteuer an.
Langsam wird mir bewusst, was ich hier geleistet habe: ich bin über mich hinaus
gewachsen, körperlich wie geistig. Mein Kopf hat meinen Körper so gesteuert,
dass ich das Ganze schaffen konnte. Und dabei habe ich nicht nur an mich
gedacht: auch der Teamgeist war gefragt. Ohne ihn wären wir nie zusammen
angekommen! Prost, Theresia – Prost, Günni!!!
Dann aber gehen meine
Gedanken sehr schnell Richtung Heimat. Ich krame mein Handy aus dem Rucksack und
gebe die frohe Kunde weiter: Meine Margit hat schon gewartet und ist heilfroh,
dass ich dieses Abenteuer gesund überstanden habe. Ich will jetzt nur noch
eines: nach Hause zu ihr! Warum fährt dieser blöde Bus erst morgen????
So bleibe ich eben
noch eine Nacht, genieße ein letztes Mal die „Pasta-Party“, die dieses Mal
wieder wesentlich besser ist und empfange mein Finisher-T-Shirt.
Übrigens: Trotz neuer
Schuhe habe ich keine einzige Blase an den Füßen…
Der nächste Lauf wird einfacher: der Berlin-Marathon am 28. September.